Noch heute ist von einer denkwürdigen Aufstiegsparty die Rede. Die Beteiligten erinnern sich an eine „zünftige Sause“, haben aber durchaus auch Erinnerungslücken. Verständlicherweise, denn neben Schweiß und Freudentränen floss im Anklamer Werner-Seelenbinder-Stadion vor allem reichlich Bier. Fast auf den Tag genau zehn Jahre ist es her, dass die damals mit zahlreichen Jungspunden besetzte erste Männer-Mannschaft des VFC Anklam durch einen Heimerfolg gegen Traktor Dargun vorzeitig den Aufstieg in die Fußball-Verbandsliga perfekt machte. Die „dritte Halbzeit“ des drittletzten Punktspiels der Saison 2010/11 hatte es anschließend in sich. „Oh ja, mit den Jungs konnte man nicht nur auf dem Rasen jede Menge Spaß haben, sondern auch ausgelassen feiern“, erinnert sich der damalige Aufstiegstrainer Rainer Gütschow.
Nachdem er die VFC-„Zweite“ als Verantwortlicher zuvor in die Bezirksklasse geführt hatte, übernahm der heute 60-Jährige 2009 den Trainerposten bei der „Ersten“ und formte aus zahlreichen talentierten Kickern aus dem eigenen Nachwuchsbereich innerhalb kürzester Zeit eine schlagkräftige Landesliga-Truppe. „Das war definitiv meine schönste Fußballzeit. Bereits im Verlauf der Saison 2009/10 lief es für uns richtig gut, womit im Vorfeld wohl kaum jemand gerechnet hat. Es war nicht unser Ziel, aufzusteigen. Wir wollten aber das Leistungsniveau in der Landesliga mitbestimmen. Am Ende standen wir hinter dem Grimmener SV auf dem zweiten Tabellenplatz“, blickt Rainer Gütschow zurück. Er machte aus dem Team eine echte Einheit: „Das war schon eine richtig geile Truppe mit Spielern wie Frank Loßmann, Marco Hartmann, Maximilian Stöck, André Dreier, Maurice Wühn und all den anderen, die Woche um Woche über sich hinausgewachsen sind. Die Jungs haben sich von Spiel zu Spiel gesteigert. Alle waren mit jederzeit mit vollem Einsatz bei der Sache. “
Die logische Konsequenz: Auch im Spieljahr 2010/11 mischten die Anklamer in der Landesliga-Tabelle ganz oben mit. Mehr als das: Sie wurden für ihre überragenden Leistungen mit dem Aufstieg in die höchste Spielklasse Mecklenburg-Vorpommerns belohnt. In der Endabrechnung konnten sie mit 60 Punkten auf dem Konto zwölf Zähler Vorsprung auf den Tabellenzweiten FC Neubrandenburg II vorweisen, wobei nur zwei von insgesamt 26 Punktspielen verloren gingen. „Die Jungs haben sich selbst von Rückschlägen nicht zurückwerfen lassen. Im Heimspiel gegen den FC Insel Usedom lagen wir zwischenzeitlich schon mit 0:2 hinten, konnten das Ergebnis in der Schlussphase aber noch drehen und mit 3:2 gewinnen“, so der Aufstiegstrainer, dessen Mannen den Sprung in die Verbandsliga bereits am 24. Spieltag durch einen 3:1-Erfolg gegen Dargun packten: „Der Jubel nach dem Abpfiff kannte keine Grenzen.“ Zwei Wochen später verabschiedeten sich die Akteure um Mannschaftskapitän Michael Jeske mit einem 7:2-Torfestival im heimischen Werner-Seelenbinder-Stadion gegen den VfB Pommern Löcknitz aus der Landesliga.
Als Vater des Erfolgs wurde Rainer Gütschow ausgelassen gefeiert. Noch heute erinnern sich die ehemaligen Youngster des VFC-Teams gern an die gemeinsame Zeit mit ihm zurück: „Er war der perfekte Trainer in meiner damaligen Übergangszeit von den A-Junioren zu den Männern. Rainer hat uns jungen Spielern viel Vertrauen geschenkt“, macht Phil Skeip deutlich. Er gab als 17-Jähriger unter Gütschow sein Debüt im Trikot der ersten Anklamer Männer-Mannschaft. „Rainer hat uns damals vor allem Kampfgeist und Siegeswillen eingeimpft. Er hat mir den Einstieg in die Erste sehr leicht gemacht“, ergänzt David Schulz. Neben vielen anderen Spielern aus dem damaligen Aufstiegs-Team zählen Phil Skeip und David Schulz auch heute noch zu den tragenden Säulen der ersten Anklamer Mannschaft. „Auf den eigenen Nachwuchs zu setzen, war die richtige Entscheidung. Davon profitieren wir noch heute“, weiß Rainer Gütschow, der als Trainer stets großen Wert auf Kampfgeist, Zusammenhalt und Eigenverantwortung aller Beteiligten gelegt hat.
Er legte das Traineramt nur wenige Monate nach dem Aufstieg aus persönlichen Gründen nieder und verabschiedete sich mit den Worten: „Ich gehe schweren Herzens und bin stolz darauf, mit diesem jungen Team den Verbandsliga-Aufstieg geschafft zu haben. Ich werde den Jungs jederzeit mit Rat und Tat zur Seite stehen.“ Gesagt, getan! Vier Jahre später waren erneut seine Qualitäten als Trainer und Persönlichkeit gefragt. Ihn erwartete als Nachfolger von Peter Rost, der wenige Monate zuvor Dariusz Kolacki beerbt hatte, eine Mammutaufgabe. Nach einer Negativserie von 13 Verbandsliga-Pleiten in Serie war die Stimmung am Tiefpunkt. „Rainer sollte die Jungs im Verlauf der Rückrunde zu ihren alten Stärken wie Kampf, Kondition und Leidenschaft zurückführen. Wir wollten die Rückrunde erhobenen Hauptes zu Ende bringen, sportlich in die Landesliga absteigen und dann eine neue junge Anklamer Mannschaft formen, die in der oberen Tabellenhälfte der Landesliga mitspielen kann. Das ist ihm in beeindruckender Art und Weise gelungen“, blickt Vorstandsmitglied Reinhard Lüdemann zurück.
In der Tat hatte Rainer Gütschow nach dem Abstieg aus dem Fußball-Oberhaus des Landes maßgeblichen Anteil daran, dass sich die Peene-
städter wieder in der Landesliga etablieren konnten. Nach der Saison 2018/19 zog er sich als Trainer der „Ersten“ zurück. „Es waren dreieinhalb schöne, gleichzeitig aber auch äußerst anstrengende Jahre. Ich brauchte eine Auszeit vom Fußball“, sagt der 60-Jährige rückblickend. Mit großer Freude verfolgt er, dass der eingeschlagene Weg des VFC, in erster Linie auf Spieler aus den eigenen Reihen zu setzen, weiterhin fortgesetzt wird: „Es ist schön zu sehen, dass nach wie vor auf talentierte Jungs aus unserem Nachwuchsbereich gesetzt wird.“ Dem Anklamer Fußball ist er nach dem Rückzug als Trainer treu geblieben: „Wenn es die Zeit erlaubt und Corona mitspielt, bin ich als Zuschauer im Stadion. Neben Spielen der Männer schaue ich mir auch die eine oder andere Begegnung der Nachwuchs-Teams an.“ Er kann sich durchaus vorstellen, zukünftig im Nachwuchsbereich Verantwortung zu übernehmen: „Wenn ich gebraucht werde, bin ich da!“
Quelle: Nordkurier